Schlimmer wie die Folgen von Tschernobyl

Folgen eines gezielten, terroristischen Anschlages

Von Antony Froggatt
Auszug aus dem Teil über "Atomkraftwerke und Terror" der Studie "Mythos Atomkraft"


Es gibt viel Szenarien, ein Beispiel, der Artilleriebeschuss eines AKWs könnte zum einem Reaktorunfall der schwersten Kategorie führen: einer Kernschmelze mit frühzeitigem Containmentversagen. So ein Vorfall wird von Experten effektiver als ein Angriff mit panzer- oder betonbrechenden Raketen eingeschätzt!

Fast alle Streitkräfte der Welt haben 155 mm Haubitzen; ein Beschuss mit solchen Waffen, die es als mobile Ausführung gibt, kann getarnt über Straßen an die Kernanlagen gebracht werden und in wenigen Minuten schussbereit gemacht werden.
Aus einer Entfernung von 12-15 Kilometern sind bei einem Zielbereich von 50 mal 50 Metern mehrere Treffer zu erwarten. Bei geringerer Entfernung und günstigen Wetterbedingungen ist die Zielgenauigkeit deutlich höher und sind mehrere Treffer auf das Reaktorgebäude möglich.

Ein Beschuss mit hochexplosiven Granaten ist mit einer teilweisen Zerstörung des Reaktorgebäudes, schwerwiegenden Schäden innerhalb des Gebäudes und dem Tod oder der Verletzung von Betriebsangehörigen zu rechnen.  Auf dem Betriebsgelände können Granaten, die das Ziel knapp verfehlen, für weitere Verheerungen sorgen, die durch die Verwendung von Brandgranaten und anderen Munitionsarten noch weiter gesteigert werden könne. Unter solchen Umständen wird es extrem schwierig sein, schnelle und wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. 

Binnen weniger Stunden wird es zu einer Kernschmelze und zu meiner massiven radioaktiven Freisetzung kommen, wobei der an die Atmosphäre abgegebene Anteil 50 bis 90 Prozent des radioaktiven Inventars von flüchtigen Nukliden wie Jod und Cäsium sowie einem kleinen Anteil weitere Nuklide wie Strontium-90 betragen kann.

Bei einem Atomkraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 100 MW entspräche dies unter anderem mehreren  10.000 Terabequerel (TBq) Cäsium-137 (Hahn 1999), ein Vielfaches der schätzungsweise 85.000 TBq Cäsium-137, die beim Reaktorunfall in Tschernobyl freigesetzt wurden.

Die Folgen wären katastrophal und würden ein großes Gebiet betreffen: Eine Fläche von bis zu 10.000 Quadratkilometer würde kurzfristig evakuiert werden müssen. Außerdem würde es bis zu 15.000 akute Strahlentote, bis zu einer Million Krebstote sowie zahllose Fälle von genetischen Spätfolgen geben. Das kontaminierte Areal, aus dem langfristig die Bevölkerung umgesiedelt werden müsste, könnte bis zu 10.000 km² umfassen. Die wirtschaftlichen Schäden wurden mit sechs Billionen Euro veranschlagt (Hahn 1999).

Bei einer Zerstörung oder massiven Beschädigung des Lagerbeckens für abgebrannte Brennstoffelemente, bei vielen Reaktoren ein Szenario mit hoher Wahrscheinlichkeit, würde die radioaktive Freisetzung ein Vielfaches der oben genannten Werte betragen, und es würden die Folgen entsprechend verheerender ausfallen.

Innerhalb eines bestimmten Zeitfensters sind Notfallmaßnahmen zur Kühlung des Kernbrennstoffs möglich. Falls aufgrund des Angriffs das Beckenkühlsystem versagt und das Wasser nach und nach verdampft, dauert es zwischen ein und zehn Tagen (je nach Menge und Kühlzeit der abgebrannten Brennelemente im Lagerbecken), bis die Spitzen der Brennstoffelemente nicht mehr mit Wasser abgedeckt sind. Falls das Becken beschädigt wird und das Wasser abfließt, wird dieser Punkt natürlich viel schneller erreicht. Sobald der Brennstoff exponiert ist, geht die Strahlungsabschirmung vollständig verloren, danach sind Eingriffe von außen aufgrund der hohen Strahlenbelastung nicht mehr möglich.

In diesem Falle würden frisch eingelagerte abgebrannte Brennelemente unweigerlich den Punkt erreichen, an dem sie sich an der Luft entzünden (900 Grad Celsius), und es  käme binnen weniger Stunden zu massiven radioaktiven Freisetzungen (Alvarez u.a. 2003)

Aus der umfassenden Studie "Mythos Atomkraft. Ein Wegweiser", 2006. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung. ISBN 3-927760-51-X.  Www.heinrich-boell-stiftung.de