(19. März 2008) - Ende Oktober 2007 verkündete die Stadt Kassel, dass sie ab sofort ausschließlich auf erneuerbare Energie setzt. Statt Atomkraft beziehen die Verbraucher seither ausschließlich Ökostrom aus skandinavischer Wasserkraft. Kassel sei damit die erste deutsche Großstadt, die komplett auf regenerative Energien umstelle, rühmte der Chef der Stadtwerke, Andreas Helbig. Der Regionalversorger badenova packte kurz vor Weihnachten sein Weihnachtsgeschenk ein und kündigte für 1. Januar 2008 an, für seine Haushaltskunden und Kleinbetriebe ebenfalls nur noch atomstromfreien Ökostrom zu liefern - und dies bei konstanten Preisen. Der Vorstandsvorsitzende von badenova, Thorsten Radensleben, bezeichnete diese Neuerung als "die umfassendste Neuausrichtung unseres Stromangebots, seit es badenova gibt." Andere Energieunternehmen haben ähnliche Umstiege verkündet. Grüner Etikettenschwindel Trotzdem sind Kassel und Freiburg leider keine Beispiele dafür, wie kostengünstig Klimaschutz sein kann. Stattdessen zeigen werbewirksame Aktionen, wie durch das bloße Umdeklarieren von Strommengen scheinbare Fortschritte für Klima- und Umweltschutz erzielt werden - während die Stromlieferanten in Wirklichkeit das Klima nach wie vor belasten und die vorhandenen Strukturen in der Stromwirtschaft weiter zementieren. Es besteht sicher kein Zweifel daran, dass der Strom, den die Stadtwerke Kassel nach der neuen vertraglichen Regelung beziehen, aus Wasserkraftwerken stammt. Der Haken liegt auf einer anderen Ebene: Die betreffenden Wasserkraftwerke produzieren schon länger Strom. Nur wurde er bisher an andere Kunden verkauft - als gewöhnlicher "Normal-"Strom. Der vermeintlich glorreiche Vertragsabschluss zwischen den Stadtwerken Kassel und dem Stromkonzern Vattenfall führt nicht dazu, dass seit Vertragsabschluss mehr Strom aus Wasserkraft ins Netz fließt. Der Verkäufer beziehungsweise Erzeuger speist dieselbe Menge Strom ins Netz ein wie bisher. Es ändert sich lediglich die Zuteilung auf dem Papier. Durch den Strombezugswechsel der Stadtwerke Kassel ist die Stromerzeugung insgesamt und damit auch der Strom für die Kasseler Tarifkunden (Haushalte und alle sonstigen Kunden außer Industrie) nicht sauberer als vorher, auch wenn die Stadtwerke dies glauben machen wollen. Diese Tatsache kann auch nicht durch die Zertifizierung des Stroms umgebogen werden. Die Stadtwerke Kassel lassen ihre Wasserkraftstrommengen über "RECS" vom Öko-Institut zertifizieren. RECS steht für Renewable Energy Certificates System (Zertifikatssystem für regenerative Energien). Diese Zertifizierung stellt europaweit sicher, dass die Firma nicht mehr Wasserkraftstrom verkauft, als sie produziert, und dient als Herkunftsnachweis. Sie gibt jedoch keine Auskunft über einen etwaigen (zusätzlichen) Umweltnutzen des Stromprodukts. Grüne Mogelpackung Leider werden die Zusammenhänge den Kunden nur unvollständig vermittelt - was ja auch verständlich ist, denn warum sollten die Stadtwerke Kassel ihren Kunden erläutern, dass der große Deal eigentlich nur eine Mogelpackung ist, da der Kunde lediglich einen "umverpackten" Strom erhält. Wie sieht es im Falle badenova aus? Das Unternehmen hat publikumswirksam einen Teil seines Strombezugs auf Wasserkraft aus der Schweiz und "vom Hochrhein" umgestellt. Außerdem hat der Versorger einen simplen Rechentrick angewendet: Nach wie vor bezieht es Atomstrom, liefert diesen aber nunmehr ausschließlich an Industriekunden. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind gleich Null. Erschlichene Imagereparatur Die Stadtwerke Kassel erhoffen sich von der Kooperation mit Vattenfall "eine höhere Kundenbindung". Der in Deutschland in Umweltbelangen heftig in der Kritik stehende Vattenfall-Konzern bindet mit dem Vertrag langfristig einen Kunden an sich und kann sein angeschlagenes Umweltimage etwas aufpolieren - ohne die Auslastung und den Betrieb seiner umstrittenen Braunkohle- und Atomkraftwerke zu ändern. Badenova versucht mit seinem "Öko-Strom" die Abwanderung von Kunden an Öko-Stromanbieter zu unterbinden - ganz im Interesse des grünen OB Salomon, der das Weihnachtsgeschenk als "riesigen Schritt für den Klimaschutz" bezeichnet (Badische Zeitung vom 15. Dezember 2007). Falscher Ökostrom schadet der Umwelt Nun könnte man ja geneigt sein zu sagen: Na gut - der Deal hat zwar nichts gebracht, schadet jedoch auch nicht. Das ist leider anders, denn es droht durchaus Schaden auf mehreren Ebenen: Manch umweltbewusster Kasseler oder Badener Stromkunde könnte der Werbung der Anbieter aufsitzen und weniger auf den sparsamen Umgang mit Strom achten. Warum sollte der Computer nicht bis zum nächsten Morgen im Stand-by-Modus verweilen, schließlich fließt ja grüner Strom durch die Leitung? Doch jede Kilowattstunde, die der Kunde zusätzlich verbraucht, stammt letztlich aus einem Kohle- oder Gaskraftwerk, denn der gesamte Strom aus regenerativen Quellen fließt bereits ins Netz. Die zusätzliche Nachfrage muss durch fossile Kraftwerke abgedeckt werden, auch wenn die Stadtwerke einen Ökostromvertrag haben. Umgekehrt muss jede eingesparte Kilowattstunde auch nicht mehr aus fossilen Energieträgern produziert werden. Würde man der Darstellung der Stadtwerke folgen, wären Elektroheizungen die saubersten Heizsysteme. Auch wäre jede neue eigene KWK-Anlage schlechter als der bezogene Ökostrom. Dem ist jedoch nicht so: Kraft-Wärme-Kopplung liefert, anders als der Ökostrombezug, in der heutigen Situation der Energiewirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der klimarelevanten Emissionen. Doch wie sollen die Energieversorger glaubhaft für den Ausbau der KWK werben, wenn man "zertifizierten", auf dem Papier absolut atomstromfrei und klimaneutralen Ökostrom zum gleichen Preis kaufen kann wie Normalstrom? Fehlt nur noch, dass in der nächsten städtischen CO2-Bilanz für Kassel oder Freiburg die Klimaemissionen für den Stromverbrauch - ohne dass sich für das Klima was geändert hätte. Wo steht das Grünstromkonzept heute? Bundesweit gibt es über 100 Grünstromangebote, die man teilweise nur regional beziehen kann. Trotz des hohen Angebots ist die Bedeutung des grünen Stroms bislang relativ gering geblieben. Bislang beziehen weniger als fünf Prozent aller Haushalte grünen Strom. Neben dem Direktbezug von Ökostrom (Händlermodell; z. B. "regiostrom basis" von badenova) gibt es Grünstromangebote, die die regenerativen Energiequellen über Förderaufschläge voran bringen (Fondsmodell). Indem diese Fördermittel (im Falle badenova 1,8 Cent/kWh beim Produkt "regiostrom aktiv") in neue Anlagen investiert werden, wird der Bau von regenerativen Energiequellen beschleunigt. Auch hier wäre zu klären, ob diese Anlagen nicht auch ohne diese zusätzliche Förderung entstanden wären. Das Konzept konnte jedoch im Vergleich zur kostenorientierten Vergütung im Rahmen des Erneuerbaren Energiegesetzes bislang nur eine sehr bescheidene Wirkung erlangen, da nur relativ wenige Kunden bereit sind, für sauberen Strom freiwillig mehr zu bezahlen.  Der große Bluff: Der vermeintliche Bezug von Ökostrom Wer profitiert vom Ökostromkauf? Der Kauf von grünem Strom ist Vertrauenssache. Bei Ökostrom ist eine Bewertung des Produktes und des Anbieters notwendig, um zu einer guten Entscheidung zu gelangen. Die Stadtwerke Kassel schlossen einen Stromvertrag mit dem drittgrößten deutschen Stromversorger Vattenfall ab, der in den letzten Jahren in Deutschland durch einen Ausbau der hochgradig klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke und durch die Störfälle seiner Atomkraftwerke aufgefallen ist. Im Fall badenova unterstützt der Kunde ein Unternehmen, das zu 49 Prozent der Thüringer Gasgesellschaft (Thüga) gehört, die wiederum eine 100-prozentige Tochter des E.on-Konzerns ist. Von jedem Euro, der als Gewinn in die Kasse von badenova gespielt wird, werden 49 Cent an den größten Stromkonzern weitergeleitet, der im übrigen offensiv für den Ausbau der Atomenergie wirbt. Der Wechsel zu einem "echten" Ökostromanbieter, der ausschließlich oder besonders aktiv für eine Energiewende und umfassende Strategie der Minimierung von Großrisiken (Klimawandel, Kernkraft) eintritt, bildet dagegen ein echtes Gegengewicht in der Strombranche. Das führt langfristig dazu, dass auch die Großen der Branche ihre Geschäftspolitik anpassen müssen. Die Nachfrage nach Ökostrom erzeugt das Bewusstsein, dass Stromverbrauch hohe klimarelevante Emissionen (oder Risiken durch Atomenergie) verursacht und die Kunden durch einen Wechsel zum Ausdruck bringen, dass sie dies ändern wollen. Ob und in welchem Umfang durch den Wechsel zu einem Ökostromanbieter tatsächlich zusätzlicher Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt und Emissionen der konventionellen Stromerzeugung vermindert werden, kann man nur im Einzelfalle durch eine genaue Analyse der getätigten Investitionen der Energieversorger ermitteln. Neben dem Wechsel zu einem "echten" Ökostromanbieter gibt es für die Verbraucher auch risikolose Wege, die Stromversorgung sauberer zu machen: sie können im eigenen Haushalt Energie sparen, eine Solaranlage auf dem Dach installieren oder sich an Bürgerprojekten für Energieeinsparung oder für Windkraft- und Solaranlagen beteiligen. Bei diesen Optionen handelt es sich in der Regel um Maßnahmen, die sich langfristig lohnen. Profitabler Klimaschutz ist möglich - aber nicht über die simple Umverpackung von Strom. Die Autoren freuen sich über Kommentare zum Artikel und bitten um Korrespondenz an die E-Mail-Adressen Seifried(at)oe2.de und Wolfgang.Irrek(at)wupperinst.org |