Studien

Die Leukämierate in der Elbmarsch ist 3,4-fach erhöht

Wissenschaftliche Tricks


aus "Umweltnachrichten" Mai 2003

(Mai 2003) Die Ergebnisse der bislang größten deutschen Studie zu Leukämien und Lymphomen um norddeutsche Atomkraftwerke der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Ergebnis der Studie war laut Pressemeldung der Süddeutschen Zeitung vom 10. April 2003, dass Atommeiler nicht Auslöser von Leukämie seien. Die Durchsicht der Arbeit zeigt aber, dass für akute lymphatische Leukämien, die am ehesten mit radioaktiver Strahlung in Verbindung gebracht werden, genau das Gegenteil der Fall ist.

Diese sind im Nahbereich der Atomanlagen signifikant um den Faktor 3,4 erhöht.

Anlass der Fall-Kontroll-Studie zu Leukämie und bösartigen Lymphomen in Norddeutschland (NLL-Studie) war die weltweit höchste Rate von Leukämieerkrankungen bei Kindern in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks Krümmel und des Kernforschungszentrums GKSS.

Meine Durchsicht der NLL-Studie ergab, dass darin nicht nur Leukämien bei Kindern untersucht wurden, sondern auch Leukämien und Lymphome bei Erwachsenen.

Außerdem konzentrierte sich die Untersuchung nicht auf den Standort Krümmel, wo im Zeitraum 1980-1995 acht Leukämiefälle im Nahbereich auftraten, viermal mehr als erwartet. Es wurden drei weitere Atomkraftwerke (Brunsbüttel, Brokdorf und Stade) in die Studie mit einbezogen, bei denen im gleichen Zeitraum nur 2 Fälle vorkamen. Für alle Standorte zusammengenommen ist die Erhöhung der Leukämierate bei Kindern nicht mehr auffällig.

Die Strahlenexposition wurde in jedem Einzelfall nach der diesbezüglichen allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) bestimmt. Für die Datenanalyse wurden die Personen nach Strahlenexposition in drei Kategorien eingeteilt und mit einer "unbestrahlten" Vergleichsgruppe verglichen. Für alle Leukämien und Lymphome bei Erwachsenen ergibt die Studie kein erhöhtes Risiko in der höchsten Expositionskategorie.

Allerdings ist die Erhöhung für die Untergruppe der akuten lymphatischen Leukämien (ALL) bei Männern in Kategorie 3 signifikant (p=0,0354). Für Frauen werden keine verwertbaren Zahlen genannt. Genau die ALL sind es aber, die am ehesten mit ionisierender Strahlung in Verbindung gebracht werden. Die Erhöhung geht jedoch in der Gesamtzahl aller Fälle unter, weil die ALL bei Erwachsenen nur 5% aller in die Studie aufgenommenen Diagnosen ausmachen.

Das relative Risiko steigt in den drei Expositionskategorien monoton an: Die so genannten odds ratios betragen 1,63 in Kategorie 1, 2,47 in Kategorie 2 und 3,43 in Kategorie 3. Obwohl das Risiko in Kategorie 3 mehr als 3-fach erhöht ist, ist die Erhöhung wegen der Verwendung des zweiseitigen Tests gerade nicht mehr signifikant (p=0,0707). Auch der in der Studie genannte p-Wert für den Trendtest (p=0,055) wäre - einseitig getestet - signifikant (p=0,028).

Das Ergebnis wäre sicher noch viel deutlicher ausgefallen, wenn statt der Aufteilung in vier Kategorien (nicht exponiert, Expositionskategorien 1, 2, 3) der Zusammenhang zwischen ALL-Inzidenz und Expositionsmaß linear modelliert worden wäre, im Einklang mit der Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung für ionisierende Strahlung.

Die akuten Leukämien werden in der NLL-Studie unterteilt in akute lymphatische (ALL) und akute nicht lymphatische (ANLL) Leukämien. Die beiden Diagnosen werden nur einzeln ausgewertet. Bei ANLL zeigt sich, wiederum bei Männern, eine Erhöhung des Risikos in allen drei exponierten Gruppen. Sie ist aber nur signifikant in der niedrigst exponierten Gruppe (Kategorie 1) und beträgt dort 168% (p=0,0129). Fasst man alle 3 Expositionskategorien zusammen, so errechnet sich eine Erhöhung um den Faktor 2. Wegen der relativ hohen Fallzahl (N=42) ist die Erhöhung wahrscheinlich signifikant; ein p-Wert wird aber in der Studie nicht genannt. Eine Berechnung des p-Werts war mir nicht möglich, da in das Regressionsmodell neben der Strahlenexposition 13 weitere Einflussgrößen (Confounder) eingehen, aber die diesbezüglichen Daten nicht aufgeführt werden.

Für alle akuten Leukämien (ALL und ANLL) bei Männern zusammengefasst errechnet sich eine Erhöhung des Risikos in den exponierten Gruppen gegenüber der nicht exponierten Gruppe um 110% (odds ratio 2,1). Wegen der relativ großen Fallzahl (N=62) ist die Erhöhung sicher signifikant (p<0,05), wahrscheinlich sogar hochsignifikant (p<0,001). Leider wurden in der NLL-Studie p-Werte für zusammenfassende Analysen nicht genannt.

Angesichts dieser auffälligen Befunde bei akuten Leukämien kann nicht behauptet werden, dass, wie die Süddeutsche Zeitung vom 10. April 2003 schreibt, die Häufung von Blutkrebsfällen in der Umgebung des AKW Krümmel nicht auf radioaktive Strahlung zurückzuführen sei. Im übrigen ist es angesichts kleiner Fallzahlen schon schwer genug, einen bestehenden Zusammenhang nachzuweisen.

Praktisch unmöglich ist es, das Gegenteil zu beweisen, dass also ein Zusammenhang ausgeschlossen werden kann.

Von Alfred Körblein, Umweltinstitut München

Krümmel

Ein eigenes Gutachten über die Mängel und Fehler im AKW Krümmel und das Versagen von Vattenfall bringt Ergebnisse:

Demnach gehört das AKW Krümmel zu den drei störanfälligsten Atommeilern im Land, allein 314 meldepflichtige Ereignisse weist der 1984 fertig gestellte Meiler auf. Obwohl er einer der jüngeren Reaktoren ist, ist sein sicherheitstechnischer Zustand bedenklich.
Das Ergebnis:
Dem hohen Gefährdungspotenzial in Krümmel müsste unbedingt durch besondere Sorgfalt und Vorsicht beim Betrieb der Anlage begegnet werden. Doch Vattenfall tut das genaue Gegenteil: Das Unternehmen führt den Reaktor bis an die Leistungsgrenze, um den Profit zu maximieren.
Fehlverhalten und technische Mängel gipfelten in einer beispiellosen Pannenserie in den wenigen Tage zwischen Wiederanfahren des Reaktors am 19. Juni und der Schnellabschaltung am 4. Juli 2009:

  • Ein Leck am Turbinenkondensator wurde bereits am 20. Juni bemerkt, aber erst am
    3. Juli lokalisiert,
  • am 23. Juni wurde ein falsch eingestelltes Turbinenventil trotz Prüfung nicht entdeckt,
  • am 1. Juli kam es zu einer Turbinen-Schnellabschaltung, weil eine Handarmatur
    fehlerhaft geschlossen war,
  • während der Abschaltung der Turbine fiel auch eine Speisewasserpumpe aus,
  • am 4. Juli kam es dann zur Schnellabschaltung des Reaktors durch einen Kurzschluss am Maschinentransformator aus bisher ungeklärter Ursache. Zuvor hatte Vattenfall ein
    vorgeschriebenes Messgerät nicht installiert - ein profunder Beleg für die eklatanten
    Mängel an Zuverlässigkeit.
  • Während der Schnellabschaltung kam es zu Anormalitäten. So fiel ein Steuerstabantrieb für
    vier Stunden aus. Auch dieser Defekt war bei einer kurz vorher durchgeführten
    Überprüfung nicht bemerkt worden.


In der Pressekonferenz nach der Ausschussanhörung kritisierte Oda Becker, dass Vattenfall sowohl nach innen als nach außen Probleme bagatellisiere und deswegen auch nicht zu einer verantwortlichen Herangehensweise fähig sei.
Ähnlich kritisch äußerte sich auf der Pressekonferenz der frühere Vattenfall-Atomkraftwerks-Konstruktionsleiter Lars-Olof Höglund. Er wies darauf hin, dass Vattenfall seit Jahren ständig Kompetenz bei seiner Reaktorabteilung abbaue. Mittlerweile sei die Kompetenz bei der Leitung des Vattenfall-Konzerns soweit abgesunken, dass sie nicht mehr wisse, wovon sie rede.

Fazit: Sämtliche vorliegenden Informationen belegen, dass Vattenfall ungeeignet ist, Atomkraftwerke zu betreiben. Vattenfall muss die Lizenz zum Betreiben von Atomkraftwerken entzogen werden.
Doch nicht nur Vattenfall blendet Probleme aus auch die Bundeskanzlerin drückt beide Augen zu, wenn sie ohne Beleg immer wieder behauptet, dass die deutschen Kernkraftwerke die sichersten der Welt seien und deren Laufzeiten daher verlängert werden sollten. In einer  Antwort zu Krümmel bestätigte die Bundesregierung, dass das Atomkraftwerk Krümmel nicht zu den sichersten der Welt gehöre.
Soweit zur Sicherheitskultur der Bundeskanzlerin, die im Anschluss an die jüngsten Pannen des Atomkraftwerks Krümmel ihren Regierungssprecher allen Ernstes erklären ließ, dass die deutschen Kernkraftwerke grundsätzlich sicher seinen. Wenige Tage vor der Abschaltung von Krümmel hatte sie am 1. Juli sogar bei Ihrer Rede auf dem Atomforum die Sicherheitskultur in Deutschland als vorbildlich bezeichnet. Die Bundeskanzlerin drückt beim Thema Atomenergiesicherheit weiterhin alle Augen zu.
Abgelehnt wurde heute der Grüne Antrag "Risiko-Reaktoren abschalten". Der Antrag fordert die Abschaltung.  (27.8.09)